Fernbehandlung ist in Deutschland längst Alltag – wenn sie medizinisch vertretbar und sauber umgesetzt ist. Der Weg dorthin begann 2018, als der Deutsche Ärztetag das frühere Fernbehandlungsverbot kippte. Seither dürfen Ärztinnen und Ärzte unter Auflagen ausschließlich per Video, Telefon oder Chat behandeln; die Bundesärztekammer dokumentiert die Öffnung und die Umsetzung in den Ländern (BÄK). Parallel wurden Abrechnungs‑ und Qualitätsregeln für Videosprechstunden konkretisiert – die Kassenärztliche Bundesvereinigung führt sie zentral aus (KBV – Videosprechstunde).
„Telemedizin ist dann gut, wenn sie Übergaben beschleunigt, Risiken senkt und Doppelarbeit beendet – nicht, wenn sie nur einen Bildschirm ersetzt.“
Was sich rechtlich geändert hat – und was das praktisch bedeutet
Ausschließliche Fernbehandlung möglich: Seit der MBO‑Ä‑Novelle (2018) können Ärzt:innen in geeigneten Fällen ohne Erstkontakt behandeln; die Länder‑Kammern haben entsprechende Berufsrecht‑Regelungen eingeführt (BÄK).
Abrechnungssicherheit: KBV regelt, wann und wie Leistungen per Video vergütet werden – inkl. Not‑/Bereitschaftsdienst, Psychotherapie‑Spezifika und technischer Anforderungen (KBV).
Zertifizierte Videodienste vorgeschrieben: Nur gelistete Anbieter, die technische und datenschutzrechtliche Nachweise erbracht haben, sind zugelassen. Die konsolidierte Übersicht führt der GKV‑Spitzenverband (Liste Videodienstanbieter).
Sicherheit & Infrastruktur: Telemedizin hängt an der Telematikinfrastruktur (TI) – mit gematik‑Governance, Kryptografie‑Vorgaben und Zulassungsprozessen für Anwendungen (gematik – TI).
„Digitalisierung wird erst dann spürbar, wenn Informationen dort ankommen, wo Entscheidungen fallen.“
Wo Telemedizin in der Pflege liefert – drei harte Use Cases
Visite im Heim statt Krankentransport. Pflegefachkräfte übertragen Vitalwerte live; Ärzt:innen entscheiden in Echtzeit. Ergebnis: weniger Rettungswageneinsätze, weniger Infektionsrisiken.
Polypharmazie & Chroniker. Video‑Kontrollen + strukturierte Medikationsdaten reduzieren Fehler und beschleunigen Therapie‑Anpassungen.
Nächte & Landregionen. Tele‑Notfall/Telekonsil überbrückt ärztliche Präsenzlücken – Pflege bekommt schnelle Rückendeckung, Patient:innen schneller Entscheidungen.
Vorher/Nachher – Effekte im Betrieb (Beispielkennzahlen aus Projekten)
Bereich | Vor Telemedizin | Mit Telemedizin |
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Übergabe/Entlassung | Telefon/Fax, fehlende Befunde | strukturierter Video‑Kontakt, Dokumente digital |
Notfälle im Heim | häufiger Transport in Klinik | mehr Abklärung vor Ort, Transporte ↓ |
Visitenaufwand Ärzt:innen | Anfahrt/Wartezeiten | Video‑Slots, Durchlaufzeit ↓ |
Pflegezeit | hoher Koordinationsaufwand | weniger Rückfragen, klare SOPs |
Praxisbeispiel (2025): TK × Alloheim × MedKit Doc
Die Techniker Krankenkasse hat im Mai 2025 mit Alloheim und MedKit Doc einen besonderen Versorgungsvertrag für 20 Pflegeeinrichtungen geschlossen. Ziel: ärztliche Erreichbarkeit per Video mit gerätegestützter Diagnostik direkt im Bewohnerzimmer – zunächst zwei Jahre Pilotlaufzeit (TK – Presse; Alloheim – Projektinfo). Frühindikatoren aus vergleichbaren Setups: weniger unnötige Einweisungen, geringerer Transportaufwand, spürbare Entlastung für Teams.
Hürden – und wie wir sie operativ lösen
Akzeptanz & Arbeitsteilung: Televisiten brauchen klare Rollen (wer initiiert, wer dokumentiert, wer entscheidet). Schulungspfade + Checklisten verhindern Mehrarbeit.
Datenschutz & Technik: Einsatz ausschließlich gelisteter Videodienste (GKV‑Liste) und TI‑konform; Räume/Headsets/Netz priorisieren, Störfall‑Plan etablieren.
Prozessreife: Telemedizin ersetzt keine schlechten Abläufe. SOPs für Aufnahme, Medikationsabgleich und Entlassung vorab definieren – dann digitalisieren.
30‑Tage‑Plan für Pflegeeinrichtungen (kompakt)
Woche 1–2
Minimal‑Use‑Cases festlegen (Entlassung, Polypharmazie, Nacht/Notfall).
Videodienst aus GKV‑Liste auswählen; Geräte‑Set (Cam, Stethoskop, EKG/BP) definieren.
Datenschutz‑Einwilligungen und Raumkonzept (Diskretion) vorbereiten.
Woche 3–4
Schulungen (15‑Min‑Mikrotrainings) + Simulations‑Visiten.
Go‑Live auf zwei Stationen, wöchentlicher KPI‑Check: Anteil Televisiten, Transportquote, Rückfragen, Durchlaufzeiten.
Lessons Learned in SOPs überführen, Skalierung planen.
Fazit. Fernbehandlung ist rechtlich möglich, abrechenbar und technisch abgesichert – wenn wir zertifizierte Videodienste nutzen, die TI stabil anbinden und Televisiten in klare Prozesse gießen. Für Pflegeeinrichtungen heißt das: weniger vermeidbare Transporte, bessere Erreichbarkeit, mehr Sicherheit im Alltag. Für Investoren: eine belastbare Operational‑Story statt „Digital‑Folie“.