Die elektronische Patientenakte (ePA) ist kein Software‑Update, sondern Infrastruktur. Mit dem Opt‑out‑Start ab 15. Januar 2025 ist sie für gesetzlich Versicherte standardmäßig angelegt – wer nicht will, widerspricht. Seit 29. April 2025 läuft die bundesweite Nutzung in Praxen, Kliniken und Apotheken an (Bundesgesundheitsministerium). Das verändert Prozesse quer durch Pflege, Versorgung und Abrechnung – im Guten, wenn wir es richtig machen.
„Digitalisierung wird erst dann spürbar, wenn Informationen dort ankommen, wo Entscheidungen fallen.“
Was jetzt wirklich kommt – konkret und prüfbar
Opt‑out ePA für alle: Die Akte wird automatisch erstellt, außer Versicherte widersprechen. Steuerung und Einwilligungen laufen über die ePA‑App der Kasse (gematik – ePA für alle).
Medikationsdaten & dgMP: Die Medikationsliste ist seit Januar 2025 in der ePA sichtbar; der digitale Medikationsplan (dgMP) wird im Lauf von 2025 verankert – inklusive Einnahmegründen und komplexen Dosierschemata (gematik – dgMP Update).
Sicherheit & Governance: Die ePA ist Teil der Telematikinfrastruktur, entwickelt im Einvernehmen mit dem BSI; Zulassungen erfolgen nach Sicherheitsgutachten, Betriebe müssen IT‑Sicherheitsrichtlinien einhalten (BSI – ePA & TI).
Roll‑out‑Takt: Start in Modellregionen (Hamburg/Umland, Franken, Teile NRW) ab 15.01.2025; bundesweite Nutzbarkeit seit Ende April 2025, weitere Ausbaustufen folgen (GKV-Spitzenverband – ePA 3.0 Rollout).
Opt‑out‑Logik erklärt: Ärzt:innen und Pflege erhalten nur mit Einwilligung Zugriff; Versicherte können Rechte steuern, Dokumente verbergen oder löschen (KBV – ePA, Opt‑out & Zugriffe).
„Die ePA ist kein Selbstzweck. Sie lohnt sich erst, wenn sie Übergaben beschleunigt, Risiken senkt und Doppelarbeit beendet.“
Chancen im Versorgungsalltag – wenn wir es richtig verschalten
Sektorübergreifende Übergaben: Entlassmanagement wird belastbarer, weil Befunde, Medikationsliste, Notfalldaten zentral vorliegen. Für Pflege heißt das: weniger Telefon‑/Faxschleifen, schnellere Erstvisiten.
Medikationssicherheit: Wechselwirkungen erkennen, Dosierungen prüfen – die dgMP‑Daten machen Medikationschecks praxistauglicher.
Chronikersteuerung: Verlauf, Diagnosen, Labor – Behandlungspläne werden nachvollziehbar, Tele‑Konsile einfacher.
Produktivität: Weniger Papier, klarere Informationswege → kürzere Durchlaufzeiten, weniger Fehler, bessere Abrechnungsqualität.
Anwendungsfälle – kompakt
Use Case | Was ändert sich fachlich? | KPI/Signal |
---|---|---|
Entlassung → Pflegeheim/ambulant | Befunde/Verordnungen liegen strukturiert vor | Aufnahmezeit ↓, Rückfragen ↓ |
Polypharmazie | dgMP + Medikationsliste → Check in der Pflegevisite | UAW/Wechselwirkungen ↓ |
Haus-/Facharztwechsel | Vorbefunde verfügbar | Doppeluntersuchungen ↓ |
Notfall | Notfalldaten/Medi sofort sichtbar | Door‑to‑Decision ↓ |
Hürden, die wir ernst nehmen müssen – und wie wir sie abbauen
Datenschutz & Vertrauen: Zentrale, hochsensible Daten brauchen maximale Sicherheit und verständliche Kontrolle. BSI/Gematik setzen den Rahmen; vor Ort zählt Aufklärung: Wer sieht was? Wie widerrufe ich? (siehe BMG/gematik/BSI oben).
Akzeptanz & Arbeitsteilung: ePA nützt erst, wenn Teams sie nutzen. Schulungen und klare Rollen (wer lädt hoch, wer prüft, wer dokumentiert) verhindern, dass „digital“ zur Mehrarbeit wird.
TI‑Anbindung & Standards: Nicht jede Pflegeeinrichtung ist TI‑ready. Fehlen Anbindung, Schnittstellen oder eine einheitliche Pflegefachsprache, bleiben Potenziale liegen. Die Roadmap der Kassen/Leistungserbringer priorisiert Stufen – Lücken früh adressieren (GKV‑Rollout s. o.).
Prozessreife: ePA ist kein Ersatz für schlechte Prozesse. Ohne klare SOPs für Aufnahme, Medikationsabgleich, Entlassung bleibt der Effekt klein.
Praxisbeispiel (anonymisiert)
Ein Verbund aus drei stationären Einrichtungen und einem ambulanten Dienst verankert ePA‑Übergaben in der Aufnahme: Checkliste „Befunde/Medikation/Verordnungen“, täglicher ePA‑Pull um 10 Uhr, Verantwortung bei Pflegefach‑Koordinator:in. Nach 12 Wochen sinken Rückfragen an Kliniken um −35 %, die Zeit bis zur vollständigen Erstdoku um −28 %. Die Medikationsfehler in den ersten 14 Tagen halbieren sich. Lehre: klare Zuständigkeit + Routine schlägt „wir haben jetzt ePA“.
Umsetzung in 45 Tagen – schlank und messbar
Tag 1–7: ePA‑„MVP“ definieren (Welche Dokumente? Wer lädt hoch? Welche Stationen zuerst?). Rechtetemplates & Einwilligungskommunikation vorbereiten.
Tag 8–21: TI‑Check, ePA‑App‑Guides für Angehörige, Schulung Intensiv‑Use‑Cases (Entlassung, Medikation).
Tag 22–45: Live‑Betrieb mit Review‑Takt (wöchentlich). KPIs: Anteil Übergaben mit vollständiger ePA‑Doku, Erstvisiten‑Dauer, Rückfragenquote, Medikations‑Abweichungen.
Fazit. Die ePA ist Chance und Stresstest. Sie verbessert Qualität, Sicherheit und Produktivität – aber nur, wenn wir Governance, Schulung und TI‑Anbindung ernst nehmen. Wer jetzt Prozesse und KPIs klarzieht, macht aus der ePA einen Wettbewerbsvorteil – in der Versorgung und in der Investorenstory.