Europa redet über digitale Gesundheit – die USA und Teile Asiens liefern bereits. Zwischen Anspruch und Realität klafft eine Lücke: ePA/EHR, Telemedizin, Interoperabilität, Datenplattformen. Wer heute investiert, profitiert von Märkten mit klaren Standards und belastbarer Infrastruktur – und zahlt in fragmentierten Systemen einen hohen Integrationszuschlag.
Wo Europa steht – und warum der Rückstand real ist
Die EU hat mit dem European Health Data Space (EHDS) einen Rahmen geschaffen, der Primär- und Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten vereinheitlichen soll. Die Verordnung ist seit März 2025 in Kraft; es läuft eine Übergangsphase mit Umsetzungsakten bis 2027 (EU-Kommission). Gleichzeitig kritisierte der Europäische Rechnungshof die bisher schleppende, uneinheitliche Digitalisierung und warnte vor Risiken durch Fragmentierung und mangelnde Interoperabilität (ECA-Sonderbericht 25/2024, PDF). Fazit: Regulierung kommt, Infrastruktur folgt – mit Zeitverzug und Länderdifferenzen.
„Digitalisierung ist erst dann Wert, wenn Daten sektorenübergreifend fließen – sicher, standardisiert, nutzbar.“
USA: EHR fast flächendeckend – der Engpass ist Interoperabilität
Die USA haben durch HITECH/Meaningful Use eine praktisch vollständige EHR-Abdeckung erreicht: 96 % der nicht-bundesstaatlichen Akutkrankenhäuser und 78 % der niedergelassenen Ärzte nutzten bis 2021 zertifizierte EHRs (ONC QuickStats). 2023 engagierten sich 70 % der Krankenhäuser in allen vier Domänen des interoperablen Datenaustauschs (senden, empfangen, finden, integrieren) – Fortschritt, aber keine Vollabdeckung (ONC Data Brief 2023).
Asien: Zentral gedachte Datenräume als Vorteil – Singapur & Südkorea
Singapur – NEHR: „One Patient, One Health Record“ bündelt Schlüsseldaten national und ermöglicht berechtigten Zugriff über Versorgungsgrenzen hinweg – eine konsequent zentral gedachte Architektur (Synapxe/NEHR; ergänzend HealthInfo.gov.sg).
Südkorea – MyHealthWay: Staatliche PHR-/MyData-Plattform seit 2023 im Roll-out; sehr hohe EMR-Durchdringung, Ziel ist patientenzentrierter Datenaustausch und App-Ökosystem (PMC 2024: Status of MyHealthWay).
Implikation: Zentral definierte Standards + klare Governance verkürzen Implementierungszeiten – ein Standortvorteil.
Vergleich auf einen Blick
Region | EHR/ePA-Durchdringung | Interoperabilität (Tendenz) | Nationaler Datenraum | Regulatorische Klarheit | Investorenperspektive |
---|---|---|---|---|---|
EU | Uneinheitlich nach Mitgliedstaat | Mittel, stark fragmentiert | EHDS (in Kraft, Umsetzung bis 2027) | Zunehmend klar, aber heterogen | Selektiv attraktiv, Integrationszuschläge einkalkulieren |
USA | Sehr hoch (Krankenhäuser ~96 %) | Mittel–hoch, Lücken beim Integratieren | Kein einheitlicher Raum, aber Netzwerke/HIEs | Reife Förder- & Standardlandschaft | Skalierung möglich, aber Vendor-/Schnittstellen-Risiken |
Asien (SG/KR) | Hoch in Kernsystemen | Hoch in priorisierten Use Cases | NEHR (SG) / MyHealthWay (KR) | Klar, zentral getrieben | Schnelle Umsetzung, klare Rollen, planbarer CAPEX/OPEX |
Quellen für Tendenzen/Beispiele: ONC, ONC QuickStats, EU/EHDS, ECA, Synapxe/NEHR, PMC/MyHealthWay.
Was wirklich bremst – und was wirkt
Bremser: heterogene Standards, Datenschutz-Interpretationen, Anreizsysteme ohne Outcome-Fokus, Legacy-IT in Kliniken.
Beschleuniger: verbindliche Interoperabilitätsprofile, eID/Signatur, zentrale Terminologien (SNOMED CT, LOINC), Sekundärnutzung mit klaren Datentreuhandmodellen.
Praxisbeleg: OECD zeigt, dass Länder mit klaren digitalen Governance-Strukturen schneller Telemedizin & Datenanalyse skalierten, etwa während COVID-19 (OECD Health at a Glance 2023 – Digital Health).
„Ohne Interoperabilität ist Digitalisierung nur teure Dokumentation.“
Investitionsfelder, die jetzt entstehen
Interoperability-as-a-Service: Terminologien, Mapping, API-Gateways, FHIR-Adapter – Pay-per-Transaction-Modelle für Heterogenität.
Data Quality & Governance: De-Identification, Consent-Management, Auditability – Voraussetzung für EHDS-Sekundärnutzung.
Virtual Care & RPM: Telemonitoring, Homecare-Kits, Device-Clouds, Abrechnungs-Integration.
Workforce-Tech: Digitale Dienstplanung, Skill-Matching, KI-gestützte Dokumentation zur Entlastung.
Security-by-Design: Zero Trust, Medical Device Security, Ransomware-Resilienz.
Risiko-Matrix für Investoren (Kurzfassung)
Regulatorik: EHDS-Umsetzung + nationale Ausgestaltung →
Risiko: Verzögerungen, Mehrfachzulassungen.
Hedge: Standards früh erfüllen, Compliance-by-Design.
Go-to-Market: Vertrieb in fragmentierten Systemen →
Risiko: hoher CAC, lange Sales-Zyklen.
Hedge: Kassen/Verbände als Multiplikatoren, Konsortien.
Tech-Debt: Integration in Legacy-IT →
Risiko: Unplanbarer Integrationsaufwand.
Hedge: modulare Architektur, Referenz-Integrationen.
Takeaways
Europa schafft mit EHDS die Grundlagen – Vorteile realisieren sich erst mit harter Interoperabilität auf Länder- und Anbieter-Ebene.
Die USA bleiben Referenz bei EHR-Durchdringung; Engpass ist tiefes Integrieren von Fremddaten.
Singapur und Südkorea zeigen: zentral gedachte Datenräume verkürzen Time-to-Value.
Für Investoren zählen Standards, Umsetzungsreife, Integrationsrisiken – nicht nur Marktgröße.
Mini-Case: Markteintritt in zwei Schritten
Schritt 1 (12–18 Monate): Pilotregionen in zwei EU-Ländern mit FHIR-Gateways + Consent-Management, Fokus auf einen abrechenbaren Use Case (z. B. RPM bei Herzinsuffizienz).
Schritt 2 (18–36 Monate): Skalierung über Kassen-/Verbandsverträge; Data-Products für Sekundärnutzung (Versorgungsforschung) mit EHDS-konformer Governance.